Re: Bedeutung von Schrumpfringen, Erfahrung und Fachwissen


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Geschrieben von Tiemo am 18. Mai 2018 10:12:34:

Als Antwort auf: Bedeutung von Schrumpfringen, Erfahrung und Fachwissen geschrieben von LockX am 18. Mai 2018 05:45:14:

Hallo!

Ein nicht einwandfreier Lagersitz bzw. Schrumpfringsitz ist lebensgefährlich - die Seitenkräfte des Rads werden zu 100% über den Pressitz dieser Teile übertragen. Ist kein einwandfreier Pressitz vorhanden, kann die Achse in der Kurve aus dem Achsrohr rutschen, was mit absoluter Sicherheit zu einem Unfall führt.
von http://www.roehrenklingklang.de/LightNEasy.php?page=Steckachse Lagerwechsel

Es ist auf jeden Fall so, dass der Schrumpfring das Lager in seiner Position spielfrei fixieren muss, damit dieses spielarm funktionieren kann, und der Verlust der Schrumpfverbindung zum Lösen des Hinterrades führen kann.
Aber auch die in dem Zitat gemachten Aussagen sind unrichtig bzw. ungenau.
ZB. werden nicht 100% der Seitenkräfte über den Ring übertragen, da das Lager mit dem Ring unsymmetrisch aufgebaut ist und nur Kräfte vom Ring übertragen werden, die das Rad nach außen ziehen. Aufgrund der Kinematik der Hinterachse und der allgemeinen Zustände an einer starren Hinterachse (Entlastung des inneren Rades bei Kurvenfahrt, Schrägstellung nach dem Kurvenäußeren durch die dynamische Schwerpunktverlagerung usw.) ist das in den allermeisten Fahrsituationen aber weitaus weniger als 50% der Seitenführungskräfte an der Hinterachse. Den Großteil überträgt das kurvenäußere Rad und in der asymmetrischen Lagerkonstruktion wird diese auch formschlüssig über das im Lagergehäuse steckende Kegelrollenlager aufgefangen und nicht über den Anlaufring gleitend. Daher geht auch mit losem Schrumpfring das Rad "meist" nicht verloren und es besteht natürlich auch keine absolute Sicherheit für einen Unfall.

Wenn man sich die Konstruktion der Hinterachslagerung beim leichten LT ansieht, wird man bemerken, dass VW ganz stark damit gerechnet hat, dass Kräfte nach außen wesentlich geringer ausfallen als solche nach innen: Das Kegellager ist ja eigentlich nur eine halbe Lagerung, bei Kräften nach außen wird es gelüftet (!) und die Kräfte werden gleitend über die Stirnflächen der Wälzkörper übertragen. Bei einer "richtigen", vollständigen Kegelrollenlagerung dagegen stellt man zwei Kegelrollenlager in X- oder O-Anordnung gegeneinander an, benötigt daher aber dann auch die doppelte Anzahl Lager.

In den beiden Foren LT- und Freunde-Forum ist meines Wissens seit 2010 nur ein Fall gepostet worden, wo sich an einem LT auf diese Weise ein Rad gelockert hat (der dann dreirädrig wochenlang neben einer Straße stand und die Besitzer zunächst unbekannt waren. Auch bei diesem LT ist es ohne Unfall über die Bühne gegangen).
Die Seltenheit hängt vermutlich aber auch damit zusammen, dass diese Lagerung recht zuverlässig funktioniert und nur in den seltensten Fällen Anlass zu Werkstattarbeiten daran gibt, wo dann Fehler begangen werden können.
Einsam herumirrende Hinterräder, an denen noch die Steckachse herausschaut, kenne ich eigentlich nur aus russischen Dashcam-Filmen, auch da waren es meist Ladas (Fiat-Lizenzbau) oder russische Lkw, keine LT. Ob dabei auch ein Schrumpfring im Spiel ist, weiß ich nicht.
In einem anderen Fall hier im Forum hatte die Lagerung nach Reparatur mehrere mm Axialspiel, was letztendlich auf nicht bis zum Anschlag aufgepresste Teile (Laufring) zurückzuführen war, funktionierte aber ansonsten.
Das ist der Erfahrungswert.
Theoretisch kommt hinzu, dass man, bevor das Rad nebst Steckachse ganz verloren geht, keinen Vortrieb mehr hat, weil die Steckachse aus der Kerbverzahnung am Differenzial gezogen wird. Noch vorher dürfte es durch das exzessive Spiel am Radlager schon unheimliche Geräusche aus Richtung der Hinterachse geben, wenn die Wälzkörper des Radlagers neben ihrer Laufbahn ablaufen.

Der Schrumpfring, der bei Reparatursätzen speziell für den LT beiliegt, sollte ausreichend dimensioniert sein. Wie breit er nun ist und welchen Außendurchmesser er hat und welches Untermaß, hängt natürlich unter anderem vom verwendeten Werkstoff, ergo seinem E-Modul und seiner Streckgrenze sowie Reibbeiwert ab. Da haben Hersteller auch bei gleicher geforderter Axialreibung noch Spielraum. Leider kann man deswegen auch nicht einfach mal die Dimensionierung für vorhandene Ringe nachrechnen (übrigens eine beliebte Übung im Fach Maschinenelemente im Grundstudium Maschinenbau...).
Ich gehe jedoch davon aus, dass ein zusammen mit einem halbwegs hochwertigen Lager gelieferter Schrumpfring die Anforderungen am LT erfüllt, auch wenn seine Maße vom Original abweichen. Bei China-Ware bin ich mir da allerdings schon nicht mehr sicher.

Im hiesigen Wiki steht:
"Der Schrumpfring, der vor dem Radlager sitzt hat mit der Abdichtung rein gar nichts zu tun; er soll „nur“ das Lager sichern."

Der 2. Halbsatz ist unrichtig und das offensichtlich. Denn für "das Lager sichern" würden Fachleute diesen Aufwand nicht betreiben.

Da muss ich unser WIKI mal in Schutz nehmen. Natürlich sichert der Schrumpfring das Lager, das ist seine einzige Aufgabe, daher das "nur". Weil das aber nicht trivial ist, steht das "nur" in Anführungszeichen. Das ist also nicht falsch, aber möglicherweise irreführend und ein gewisser Sarkasmus ist für den Fachmann vielleicht ganz lustig, ist aber natürlich in technischer Dokumentation eigentlich unangebracht. Man sollte es tatsächlich etwas deutlicher machen.
Es ist halt so, verschiebt sich der Schrumpfring, dann lockert sich "nur" das Lager, dadurch kann es im Extremfall "lediglich" zur Katastrophe kommen - "Schade" eigentlich...
Ich schlage daher folgende, geänderte Formulierung vor:
"Der Schrumpfring, der vor der Lagerung sitzt, hat mit der Abdichtung nichts zu tun. Seine Aufgabe ist es, das Radlager auf der Steckachse mechanisch zu befestigen. Damit ist er ein sicherheitsrelevantes Element! Dieser Bedeutung wegen wird weiter unten noch detailliert auf den Schrumpfring und seine Montage eingegangen."

Es gibt Websites mit höherer Reputation; mir aber reicht diese.

Es ist halt schon etwas reißerisch formuliert, auch das hat in technischer Dokumentation nichts verloren.

Gruß,
Tiemo



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